Nach elf Jahren, zwei Expertenbeiräten, zwei Modellprojekten, drei Bundesregierungen und der Vorgänger-Reformen (PNG und PSG I) ist es nun tatsächlich soweit: Das Elfte Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI), das die Regelungen zur sozialen Pflegeversicherung beinhaltet, wird mit dem „Zweiten Gesetz zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften (Pflegestärkungsgesetz II – PSG II) umfassend reformiert.
Insbesondere die Pflegewissenschaft kritisierte den bestehenden Pflegebedürftigkeitsbegriff seit Schaffung des SGB XI als zu defizitorientiert und verrichtungsbezogen. Mit den „vorgeschalteten“ Reformgesetzen wurden bereits einige „Schieflagen“ mithilfe von Übergangsregelungen beseitigt. Mit den am 1. Januar 2017 geltenden Neuerungen durch das Pflegestärkungsgesetz II wird den pflegewissenschaftlichen Erkenntnissen und von einem Expertenbeirat entwickelten Konzepten gefolgt und der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff sowie damit einhergehend die neue Begutachtungsmethode und Einstufung in Pflegegrade in das SGB XI implementiert und der Paradigmenwechsel im Recht der sozialen Pflegeversicherung vollzogen.
Ab diesem Zeitpunkt misst sich die Pflegebedürftigkeit am Grad der Beeinträchtigung von Selbstständigkeit oder Fähigkeiten. Neben dem körperlich betroffenen Pflegebedürftigen werden nun auch solche gleichberechtigt im Leistungskatalog der Pflegeversicherung berücksichtigt, die kognitive Erkrankungen oder psychische Störungen aufweisen. Die Begutachtung verläuft nicht mehr wie bisher durch Messung des Zeitaufwandes für Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens („Minutenzählerei“), sondern folgt der neuen Definition und fokussiert sich auf das, was der Betroffene noch kann. Maßgeblich für die Begutachtung ist künftig die Schwere der Beeinträchtigung der Selbständigkeit bzw. der Fähigkeit, bestimmte Dinge selbst zu erledigen. Zur Einstufung wurden ein neues Begutachtungsinstrument entwickelt, das „Neue Begutachtungsassessment (NBA)“. Grundlage dieses Instruments sind sechs Bereiche (Module), innerhalb derer der Hilfebedarf festgelegt wird. Diese Module bzw. die darin gewerteten Kriterien werden dann in diversen Schritten gewichtet und eine Gesamtpunktzahl errechnet. Je nach erreichter Punktzahl erfolgt dann eine Einstufung in eine der neuen fünf Pflegegrade.
Zwei Grundsätze wurden von Bundesgesundheitsminister Gröhe postuliert, als das Gesetzgebungsverfahren zum Pflegestärkungsgesetz II angestoßen wurde:
- Niemand soll durch die Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs schlechter gestellt werden.
- Niemand, der bereits Leistungen bezieht, soll einen neuen Antrag auf Begutachtung stellen müssen.
Diese Grundsätze sind in das SGB XI übernommen worden, so dass es viele Anpassungs-, Überleitungs- und Besitzstandregelungen für bestehende Pflegefälle zu beachten gibt.
Wir stellen in Fokus Pflegerecht die wichtigsten Änderungen vor.