Neue Kritik am Pflege-TÜV erhöht den Druck auf den Qualitätsausschuss

Morgen (8.6.2016) tagt erstmals der Pflege-Qualitätsausschuss, der zur Qualitätssicherung, Qualitätsmessung und Qualitätsdarstellung in der Pflege neue Wege und Instrumente entwickeln soll – die sogenannten Qualitätsdarstellungsvereinbarungen.

„Die Pflegenoten sind in ihrer jetzigen Form für einen Qualitätsvergleich vollkommen ungeeignet und müssen schnellstmöglich ausgesetzt werden. Jeder, der an den Noten festhält, macht sich zum Fürsprecher von Tricksen, Tarnen und Täuschen. Echte Transparenz und ein funktionierender Verbraucherschutz bleiben dabei auf der Strecke. Die Noten sind nichts als Nebelkerzen und müssen verschwinden, damit wir endlich klare Sicht haben.“

Mit diesen Worten läutete der Patientenbeauftragte Karl-Josef Laumann letztes Jahr in einer Anhörung im Bundestag das Aus für die Pflegenoten ein, mit der Folge, dass mit dem Pflegestärkungsgesetz II (PSG II) eine Reform der Qualitätssicherung beschlossen wurde.

Die derzeitigen Pflegetransparenzvereinbarungen ambulant (PTVA) und stationär (PTVS) der pflegerischen Selbstverwaltung und damit das Notensystem zur Bewertung von Pflegeeinrichtungen („Pflege-TÜV“) sollen durch neue Qualitätsdarstellungsvereinbarungen ersetzt werden. Die neuen §§ 113 ff. SGB XI geben dazu eine Neustrukturierung der Entscheidungsstrukturen (Pflege-Qualitätsausschuss) sowie ein Zeitplan für die neuen vertraglichen Vereinbarungen vor.

Nachdem bereits Ende Mai die Bertelsmann Stiftung mit einer neuen „Bewertungsmethode“ der bestehenden Pflegnoten an die Öffentlichkeit trat (siehe unser Artikel zur Weissen Liste), übt nun auch die Veröffentlichung von correctiv.org Druck auf die Verantwortlichen aus.

Reporter und Programmierer haben für die Recherche von correctiv.org alle verfügbaren Daten über die Pflegequalität in deutschen Pflegeheimen zusammengetragen und eine eigene Analyse erstellt. Wie schon die Bertelsmann Stiftung bei der „Neubewertung“ der vorliegenden Daten, stellt auch dieses Rechercheteam auf den pflegerischen bzw. medizinisch relevanten Teil der Pflege ab, also etwa Versorgung mit Nahrung, Schmerzbehandlung, Medikamentengabe oder Vorsorge für Bettlägerige.

Auch das Ergebnis von correctiv.org ist – folgt man deren Auswertung – ernüchternd: Demnach fallen 60 % aller Pflegeheime bei den Qualitätsprüfungen negativ auf, wenn es um den medizinisch relevanten Teil der Pflege geht. Mehr als die Hälfte der Heime versorgen demnach die Bewohner nicht korrekt mit Medikamenten, mehr als 30 % nicht vorschriftsmäßig mit Essen und Flüssigkeit.

Nötig ist ein Neustart, keine Behelfslösung ..

.. so Bundesgesundheitsminister Gröhe zur Auswertung von correctiv.org befragt. Es reiche nicht aus, alte Bewertungskriterien neu zu gewichten. „Pflegebedürftige und ihre Angehörigen brauchen gut verständliche und belastbare Informationen, an denen sie die Qualität von Pflege und Betreuung festmachen und vergleichen können.“

Auch der Medizinische Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS) ist durch die Berichterstattung aufgeschreckt. Zu den Recherchen von correctiv.org erklärt Dr. Peter Pick, Geschäftsführer des MDS:

„Alle Beteiligten sind sich einig, dass die Pflegenoten in der aktuellen Form den Verbrauchern keine ausreichende Aussagefähigkeit bieten. Ursache des Problems ist, dass die vom MDK festgestellten Prüfergebnisse nicht vollständig und beschönigend in den Pflegenoten dargestellt werden. Somit werden vom MDK festgestellte Missstände nur auf den zweiten Blick erkennbar. Eine Änderung der Pflegenoten war in den bisherigen paritätischen Entscheidungsstrukturen der Verbände der Leistungserbringer und der Pflegekassen nicht umsetzbar. Es ist richtig, die Transparenzdarstellung im neuen Pflegequalitätsausschuss grundlegend zu überarbeiten. Am Ende sollte ein sorgfältig erarbeitetes und für den Verbraucher nachvollziehbares Bewertungssystem herauskommen.“

Pick plädiert in der Pressemitteilung aber dafür, dass weiter der MDK die Qualitätsprüfungen durchführen soll.

Wir machen Druck, damit die Pflegeselbstverwaltung den Fahrplan strikt einhält ..

.. so Bundesgesundheitsminister Gröhe gegenüber der Funke Mediengruppe.

In diesem Licht sind wir gespannt, welche Ergebnisse die erste Sitzung des Qualitätsausschusses bringt. Sitzen in diesem Gremium doch dieselben Akteure wieder an einem Tisch, die bereits die Pflegenoten gemeinsam entwickelt und verabschiedet haben.

Ganz wollte sich der Gesetzgeber aber nicht mehr auf diese Beteiligten verlassen: Nachdem in der Vergangenheit die Selbstverwaltungsorgane nicht wirklich gut funktioniert haben – der Gesetzgeber spricht in der Gesetzesbegründung  vom „Scheitern der pflegerischen Selbstverwaltung bei den bisherigen Pflege-Transparenzvereinbarungen“ – wurde in § 113b SGB XI mit Einführung eines erweiterten Qualitätsausschusses gegengesteuert, um „eine strukturierte und ergebnisorientierte Handlungsweise sicherzustellen“ (so die Gesetzesbegründung).

Sofern in der normalen Besetzung keine einvernehmliche Einigung zustande kommt, kann der Ausschuss auf Verlangen einer Vertragspartei oder auch des Bundesministeriums für Gesundheit in einen erweiterten Qualitätsausschuss umgewandelt werden. Es treten dann ein unparteiischer Vorsitzender und zwei weitere unparteiische Mitglieder hinzu. Auch gilt dann das Mehrheitsprinzip bei den Entscheidungen. Vorsitzender des erweiterten Qualitätsausschusses ist Karl-Josef Laumann (hier kann man streiten, ob damit das Merkmal „unparteiisch“ erfüllt ist, siehe auch den Artikel zur Ernennung des Vorsitzenden).

Bis Ende nächsten Jahres muss das neue Verfahren zur Qualitätsmessung vorliegen. Ab 2018 soll dieses dann für die stationäre Pflege gelten, ab 2019 für die ambulanten Dienste.

Der genaue Zeitplan kann in § 113b SGB XI nachgelesen werden; eine Übersicht finden Sie auch im Beitrag Weiterentwicklung der Regelungen zur Qualitätssicherung.