In den Medien schlagen die Wogen hoch. Von Schäden in Milliardenhöhe ist im Zusammenhang mit betrügerischen Abrechnungen ambulanter Pflegedienste die Rede. Vorbehaltlos und umfassend sollen die Fälle aufgeklärt werden. Zugleich wird der Ruf nach zusätzlichen und besseren Kontrollen durch Kranken- und Pflegekassen lauter.
Carmen P. Baake erläutert im Beitrag, welche Abrechnungsprüfungen derzeit rechtlich möglich sind und gibt eine Bewertung zu den Schlagzeilen ab.
Abrechnungsprüfung bereits bisher Prüfinhalt der Qualitätsprüfungen nach §§ 114 ff. SGB XI
Im Jahr 2001 trat das Pflegequalitätssicherungsgesetz (PQSG) in Kraft. Darin war erstmals vorgesehen, dass bei den Qualitätsprüfungen auch die Abrechnung der vom Pflegedienst erbrachten Leistungen geprüft werden kann. Erbringt der Pflegedienst sowohl Leistungen nach § 36 SGB XI als auch häusliche Krankenpflege nach § 37 SGB V, sind laut Gesetz auch die Qualität und Abrechnung der häuslichen Krankenpflege Prüfinhalt. Seit dem 01.01.2016 ist dies sogar nicht mehr nur als Kann-Regelung, sondern als verbindliche Vorgabe festgelegt.
Seit 01.01.2016 unangemeldete Qualitätsprüfungen auch in der ambulanten Pflege
Liegt ein konkreter Anlass für die Qualitätsprüfung vor, sollen Qualitätsprüfungen auch bei ambulanten Pflegediensten unangemeldet durchgeführt werden. Der Verdacht auf Abrechnungsbetrug könnte ein solcher Anlass sein. Problematisch ist bei diesen Prüfungen der unangemeldete Zugang der MDK-Prüfer zu den Wohnungen der Pflegebedürftigen, die geprüft werden sollen. Dieser ist nur dann möglich, wenn die Betroffenen zustimmen. Auch die Unterlagen für die Abrechnungsprüfung im konkreten Einzelfall kann der MDK-Prüfer nur mit dem Einverständnis der Betroffenen einsehen.
Unangemeldete Qualitätsprüfungen bei häuslicher Krankenpflege nach § 37 SGB V eingeschränkt
Unangemeldet kann die Qualität und Abrechnung der häuslichen Krankenpflege nach § 37 SGB V nur geprüft werden, wenn der Patient gleichzeitig ambulante Pflegesachleistungen nach § 36 SGB XI erhält. Bekommen Patienten ausschließlich häusliche Krankenpflege nach § 37 SGB V und keine Pflegesachleistung nach § 36 SGB XI, können weder die Qualität noch die Abrechnung der ihnen erbrachten häuslichen Krankenpflege nach § 37 SGB V bei der Qualitätsprüfung nach §§ 114 ff. SGB XI geprüft werden.
Erweiterte Qualitäts- und Abrechnungsprüfung bei der außerklinischen Intensivpflege denkbar
Pflegedienste, die im Rahmen der häuslichen Krankenpflege nach § 37 SGB V außerklinische Intensivpflege erbringen, müssen bereits jetzt höhere Qualitätsvorgaben erfüllen, als andere Pflegedienste. Dazu gehört z. B. die Leistungserbringung durch Pflegefachkräfte mit einer zusätzlichen Qualifikation im Bereich der Intensiv- oder Beatmungspflege. Zu diesem Zweck schließen die gesetzlichen Krankenkassen mit diesen Pflegediensten für jeden Intensivpflegepatienten einen Einzelvertrag. In diesem Vertrag könnten die gesetzlichen Krankenkassen bereits heute weitgehende Prüfbefugnisse vereinbaren. Nicht jede Krankenkasse nutzt diese Möglichkeit.
Meine Meinung
Rahmenempfehlung nach § 132a Abs. 1 SGB V soll bis Juni 2016 auch die Qualitätssicherung bei der häuslichen Krankenpflege regeln
Aktuell fordern vor allem Vertreter der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen vom Gesetzgeber Vorgaben, die ihnen auch bei der häuslichen Krankenpflege nach § 37 SGB V unangemeldete Abrechnungsprüfungen erlauben. Dabei könnten die gesetzlichen Krankenkassen doch die ohnehin laufenden Verhandlungen zur Rahmenempfehlung nach § 132a Abs. 1 SGB V nutzen, um ein derartiges Verfahren gemeinsam mit den Verbänden der Träger ambulanter Pflegedienste zu vereinbaren. Auch diese bekunden momentan in den Medien ihr großes Interesse daran, Betrügern das Handwerk zu legen. Oder ist deren Interesse doch nicht groß genug, um unangemeldeten Qualitätsprüfungen in der häuslichen Krankenpflege zuzustimmen? Bauen die gesetzlichen Krankenkassen darum mit ihrem Ruf nach einer gesetzlichen Regelung zusätzlichen Druck auf, um ihre Forderung nach unangemeldeten Prüfungen dennoch durchzusetzen? Ist der angerufene Gesetzgeber also nur ein verhandlungstaktischer Spielball zwischen den Partnern der Selbstverwaltung?
Mehr Prüfungen legen den Sumpf des systematischen Betrugs nicht trocken
Glaube ich den gesetzlichen Krankenkassen, ist den systematisch vorgehenden Betrügern in der ambulanten Pflege nur dadurch beizukommen, dass häufiger und vor allem unangemeldet geprüft wird. Sehe ich allerdings, wie die seit 2001, also seit inzwischen 15 Jahren, gesetzlich im SGB XI verankerte Abrechnungsprüfung bislang genutzt wurde, fällt mir nur das Bild vom zahnlosen Tiger ein. Ich bezweifle, dass ein zweiter zahnloser Tiger für die häusliche Krankenpflege nach § 37 SGB V in der Lage wäre, systematisch vorgehenden Betrügern den Garaus zu machen.
Verwaltungsintensiv, kostenträchtig und mit geringer Aussagekraft sind die gegenwärtigen Qualitätsprüfungen nach §§ 114 ff. SGB XI. Darum steht das gesamte Verfahren zu Recht auf dem Prüfstand und soll bis zum Jahr 2018 grundsätzlich überarbeitet werden.
Zusammenarbeit mit anderen Behörden ist notwendig und die bessere Alternative
Denke ich an mafiöse Strukturen und systematisch organisierten Betrug, fällt mir unweigerlich Al Capone ein. Dieser trieb als einer der bekanntesten Mafiabosse in den 1920-er Jahren sein Unwesen in Chicago. Trotz mehrfacher Verhaftungen führten seine kriminellen Machenschaften nicht zu einer Festnahme. Ins Gefängnis brachte ihn erst ein findiger Steuerbeamter. Al Capone hatte in erheblichem Umfang Steuern hinterzogen.
Ich kann mir vorstellen, dass auch die in der ambulanten Pflege vermuteten mafiösen Strukturen aufgedeckt und erfolgreich zur Anklage gebracht werden können, wenn die Erkenntnisse unterschiedlicher Behörden zusammengeführt werden. Daraus könnten sich für alle beteiligten Behörden interessante Rückschlüsse ergeben. Rechnet z. B. der betrügende Pflegedienst für 24 Stunden täglich eine Pflegefachkraft gegenüber der Krankenkasse ab, gibt bei der Steuer aber die korrekten und wesentlich niedrigeren Personalaufwendungen an, ist klar, dass die Krankenkasse betrogen wurde. Gibt ein Pflegedienst, gegen den der Verdacht auf Abrechnungsbetrug besteht, bei der Steuer hohe Personalaufwendungen an, obwohl er diese nicht hatte, kommen die Steuerfahnder ihm ebenfalls auf die Spur. Gleiches gilt auch für unversteuerte Einnahmen, die eventuell beteiligte Patienten und Angehörige vom Pflegedienst für ihr Stillschweigen erhalten. Ähnlich erfolgreich könnte eine Zusammenarbeit mit weiteren Behörden sein, z. B. mit dem Gewerbeaufsichtsamt oder dem Zoll.
Ob das so funktionieren kann, weiß ich nicht. Bevor aber ein weiterer zahnloser Tiger den Verwaltungsaufwand und die Kosten der Kranken- und Pflegeversicherung erhöht, sollte diese Alternative geprüft werden. Die Betriebsprüfungen der Finanzämter sind ein weitaus schärferes Schwert als es Qualitätsprüfungen der Kranken- und Pflegekassen, bei denen auch die Abrechnung geprüft wird, jemals sein werden.
Carmen P. Baake ist Diplomökonomin und berät seit 2011 Pflegedienste und Sozialstationen zu betriebswirtschaftlichen und strategischen Themen. Zuvor war sie viele Jahre bei gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen beschäftigt. Daneben arbeitet sie als freiberufliche Dozentin und Fachautorin. Über den WALHALLA Fachverlag bietet sie derzeit Seminare zum Thema „Pflegestärkungsgesetz II“ und „Neues Begutachtungsassessment“ an.