PSG III, BTHG und weitere pflegerelevante Themen: Vorschau auf die Bundesratssitzung am 23.9.2016

Mit Spannung wird die Bundesratssitzung übermorgen (23.9.2016) erwartet. Dort werden (endlich!) noch ausstehende Gesetzesvorhaben behandelt, die entweder bereits verabschiedete Änderungen durch das Zweite Pflegestärkungsgesetz (PSG II) nachbessern, Schnittstellen zu den anderen Sozialsystemen schaffen sollen (PSG III, BTHG) oder pflegerechtliche Themen fortentwickeln (Umsetzung Pflegezeit für Bundesbeamte und Soldaten, Vollelektronsiche Abrechnung, Einführung eines Sicherheitsbeauftragten für Medizinprodukte usw.).

Hier eine Übersicht der behandelten Gesetzesvorhaben:

Drittes Pflegestärkungsgesetz (PSG III) (BT-Drs. 18/9518)

siehe auch Arbeitshilfen > Gesetzgebungsvorhaben > PSG III

Kernpunkte des PSG III:

  • Die Bundesländer sollen die Möglichkeit erhalten, regionale Pflegeausschüsse und sektorenübergreifende Landespflegeausschüsse einzurichten, in denen die Landes- verbände der Pflegekassen mitarbeiten. Die Pflegeausschüsse sollen Empfehlungen zur Weiterentwicklung der pflegerischen Infrastruktur abgeben können (Pflegestrukturplanungsempfehlungen). Diese sollen von den Pflegekassen bei Vertragsverhandlungen einbezogen werden können.
  • Kommunen sollen besser am Auf- und Ausbau niedrigschwelliger Angebote beteiligt werden. Die Finanzierungsbeteiligung beim Auf- und Ausbau dieser wichtigen Unterstützungsangebote soll vereinfacht werden.
  • Um Kommunen stärker in die Strukturen der Pflege verantwortlich einzubinden, sollen zur Erprobung neuer Beratungsstrukturen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden. Dabei sollen unterschiedliche Modelle zur Verbesserung von Koordinierung und Kooperation bei der Beratung bezüglich der Pflegebedürftigkeit und anderer Fragen im Umfeld von Pflegebedürftigkeit entwickelt und getestet werden können.
  • Kommunen sollen zudem im Rahmen der landesrechtlichen Regelungen für die Dauer von fünf Jahren ein Initiativrecht zur Einrichtung von Pflegestützpunkten erhalten.
  • Rahmenvereinbarungen auf Landesebene zur Arbeit und zur Finanzierung von Pflegestützpunkten bei der Beratung von pflegebedürftigen Menschen sollen verpflichtend eingeführt werden.
  • Im SGB XII (Sozialhilfe) soll die an die Sozialhilfeträger gerichtete Verpflichtung zur Kooperation insbesondere mit Blick auf die Pflegekassen präzisiert werden.
  • Die Altenhilfe nach § 71 SGB XII soll weiterentwickelt und präzisiert werden.
  • Zur Wahrung der Identität der Pflegebedürftigkeitsbegriffe von SGB XI, SGB XII und dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) soll entsprechend dem SGB XI der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff auch für die Hilfe zur Pflege zum 1.1.2017 eingeführt werden. Die Hilfe zur Pflege soll in ihrer Funktion als ergänzende Leistung erhalten bleiben.
  • Um Unregelmäßigkeiten in der Abrechnung von Pflegeleistungen noch besser entgegentreten zu können, sollen im SGB V sowie im SGB XI Regelungen zur Prävention, Aufdeckung und Bekämpfung von Abrechnungsbetrug eingeführt beziehungsweise ergänzt werden.

Ob alle diese Änderungen kommen bzw. ob das geplante Inkrafttreten zum 1.1.2017 eingehalten werden kann, ist ungewiss. Bereits der Vergleich zwischen dem Referentenentwurf und dem nun eingebrachten Gesetzentwurf ergibt, dass hier schon eine vom Bundesministerium der Gesundheit vorgesehene Änderungen zurückgenommen oder modifiziert wurden. Dass hier nochmals nachgebessert wird, ist wahrscheinlich, wenn man sich die Beschlussempfehlung der Ausschüsse bzw. die Stellungnahme des Bundesrates anschaut (Drs. 410/16/1). Dies gilt auch für den Zeitplan. Bereits im Frühjahr hat der Vorsitzende des Deutschen Städtetages darauf hingewiesen, dass es nicht zu schaffen sei, die Neuerungen im Sozialhilferecht zum Jahreswechsel umzusetzen (wir berichteten). Dafür sei das Gesetzgebungsverfahren zu spät angelaufen bzw. wird zu spät abgeschlossen. Zudem seien Kostenfragen sowie das Verhältnis von Leistungen der Pflegeversicherung zu Leistungen der Hilfe zur Pflege bzw. Eingliederungshilfe durch die Träger der Sozialhilfe nach wie vor ungeklärt bzw. nicht sauber definiert.

Bundesteilhabegesetz (BTHG) (Drs. 18/9522)

Mit dem Bundesteilhabegesetz soll die Behindertenpolitik in Deutschland im Einklang mit der Behindertenrechtskonvention weiterentwickelt werden. Kernziel ist, mehr Selbstbestimmung und umfangreichere Teilhabe sicherzustellen. Staatliche Leistungen sollen künftig wie „aus einer Hand“ gewährt werden. Hier die geplanten Neuerungen in Stichworten:

  • Neudefinition des Behinderungsbegriffs im Sinne der UN-BRK,
  • Einführung eines verbindlichen, partizipativen Teilhabeplanverfahrens für alle Rehabilitationsträger sowie einer ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung,
  • Präzisierung und Erweiterung der Leistungskataloge zur medizinischen Rehabilitation, zur Teilhabe am Arbeitsleben und zur sozialen Teilhabe,
  • Einführung der Leistungsgruppe „Leistungen zur Teilhabe an Bildung“,
  • Stärkung der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR),
  • Streichung der Regelungen zu den Gemeinsamen Servicestellen;
  • Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe zu einem modernen Teilhaberecht: Neuausrichtung von einer überwiegend einrichtungs- zu einer personenzentrierten Teilhabeleistung, Optimierung der Gesamtplanung, Neuregelung des Einkommens- und Vermögenseinsatzes, Neudefinition des leistungsberechtigten Personenkreises, Trennung von Fachleistungen der Eingliederungshilfe und von Leistungen zum Lebensunterhalt;
  • Förderung von Modellvorhaben zur Sicherung der Erwerbsfähigkeit von Menschen mit (drohender) Behinderung und zur Reduzierung der Übergänge in Eingliederungshilfe;
  • Weiterentwicklung des Schwerbehindertenrechts: Stärkung der Schwerbehindertenvertretung, Verbesserung der Mitwirkungsmöglichkeiten in Werkstätten für behinderte Menschen, Regelungen zur Benutzung von Behindertenparkplätzen, Schaffung eines Merkzeichens für taubblinde Menschen im Schwerbehindertenausweis;

Strukturell soll dazu das SGB IX neu erlassen werden. Es besteht dann aus drei Teilen, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten in Kraft treten:

01.01.2018 SGB IX, Teil 1:
Neugestaltetes Rehabilitationsrecht für Menschen mit Behinderung und von Behinderung bedrohte Menschen
01.01.2020 SGB IX, Teil 2:
Überführung der Vorschriften zur Eingliederungshilfe vom SGB XII in das SGB IX und Neugestaltung der Vorschriften
01.01.2018 SGB IX, Teil 3:
Schwerbehindertenrecht

Das BTHG wurde am 28. Juni 2016 – nach zahlreichen Protesten – vom Kabinett verabschiedet. Seitdem sind die Proteste nicht abgeflaut, wie auch den zahlreichen Stellungnahmen (siehe dazu Arbeitshilfen > Gesetzgebungsvorhaben > Bundesteilhabegesetz) oder auch den „Protest-Seiten“ der Selbstvertretung behinderter Menschen zu entnehmen ist: www.nichtmeingesetz.de oder auch www.teilhabegesetz.org

Auch die Ausschüsse und der Bundesrat regen zahlreiche Änderungen an, wie sich aus der 114-seitigen Ausschussempfehlung  (Drs. 428/1/16) ergibt.

Mit Spannung wird daher die erste Lesung im Bundestag sowie die Beratung im Bundesrat erwartet.

Gesetz zur Errichtung eines Tranplantationsregisters und anderer Gesetze (Drs. 18/9083):

Im sog. Omnibusverfahren wurden während des Gesetzgebungsverfahrens einige Änderungen des SGB XI eingefügt, die das PSG II nachbessern bzw. dort Vergessenes einfügen:

  • Umsetzung und Weiterführung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Kostenteilung zwischen Kranken- und Pflegeversicherung bei ambulanter Intensivpflege auch nach Einführung des neuen Pflegebedürfigkeitsbegriffs und des damit verbundenen neuen Begutachtungsinstruments:
    Zum 1. Januar 2017 richtet sich die Einstufung der Pflegebedürftigen ausschließlich nach dem Grad der Selbständigkeit. Der Zeitaufwand für den Hilfebedarf bei der Grundpflege im Rahmen der Begutachtung zur Feststellung von Pflegebedürftigkeit wird nicht mehr festgestellt. Daher kann das Gutachten zur Einstufung nicht mehr für eine zeitbezogene Aufteilung der Kostenträgerschaft herangezogen werden. Zur Umsetzung der Vorgaben des BSG wird der Spitzenverband Bund der Pflegekassen deshalb verpflichtet, auf pflegefachlicher Grundlage Richtlinien zu entwickeln, mit denen ab dem 1. Januar 2017 eine pauschale und/oder einzelfallbezogene Feststellung des Zeit- und damit Kostenanteils der Pflegeversicherung möglich ist. Bei der Entwicklung der Richtlinien ist darauf zu achten, dass die bisherige leistungsrechtliche Zuordnung von Maßnahmen zur Pflegeversicherung und Krankenversicherung unverändert bleibt. Da der Begriff der Grundpflege im Pflegeversicherungsrecht künftig entfällt, ist der Zeitanteil für körperbezogene Pflegemaßnahmen festzustellen. Diese umfassen insbesondere die bisherigen Maßnahmen der Grundpflege.
  • Die Regelung zur Zahlung des „Strafbetrages“ von 70 Euro bei Fristüberschreitung durch die Pflegekasse an den Antragsteller wird bereits ab dem 1. November 2016 ausgesetzt. Dies ist bereits für den Zeitraum vom 1. Januar 2017 bis 31. Dezember 2017 vorgesehen.
    Die Aussetzung des Strafbetrages steht im Zusammenhang steht im Zusammenhang mit der Aussetzung der 25-Tage-Frist, siehe dazu auch diesen Beitrag.
  • Einrichtungseinheitliche Eigenanteile sind ausschließlich für die Pflegesatzvereinbarungen der vollstationären Dauerpflege ab 1. Januar 2017 zu ermitteln. Von dieser Verpflichtung ausgenommen sind Einrichtungen der Kurzzeitpflege. Zudem wird durch eine Auffangregelung für den Fall, dass Pflegesatzvereinbarungen nicht rechtzeitig abgeschlossen sind, eine Berechnungsformel zur Überleitung der Pflegesätze in der Kurzzeitpflege eingeführt.
    Mit dieser Änderung hat sich Carmen P. Baake im Blog-Beitrag „PSG II-Ergänzung: Bundestag entscheidet zur Überleitung der Pflegesätze in Kurzzeitpflegeeinrichtungen“ bereits ausführlich beschäftigt.

Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf für Beamtinnen und Beamte des Bundes und Soldatinnen und Soldaten sowie zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften (Drs. 18/8517)

Mit diesem Gesetz soll das für die Privatwirtschaft und für Tarifbeschäftigte seit dem 1. Januar 2015 geltende „Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf“ im Wesentlichen wirkungsgleich im Beamten- und Soldatenbereich nachvollzogen werden:

  • Dazu soll ein Rechtsanspruch auf Familienpflegezeit und Pflegezeit eingeführt werden.
  • Beamtinnen, Beamte, Soldatinnen und Soldaten, die Familienpflegezeit und/oder Pflegezeit in Anspruch nehmen, sollen einen Vorschuss zur besseren Bewältigung des Lebensunterhalts während der (teil- weisen) Freistellung erhalten, die mit einer Gehaltsreduzierung verbunden ist.

Achtung: Von dieser Neuregelung profitierung nur Bundesbeamte. Für Landesbeamte gilt diese Regelung nicht. Für sie gilt das jeweilige Beamtengesetz des Bundeslandes, in dem sie tätig sind. Die Umsetzung in den einzelnen Bundesländern ist sehr unterschiedlich. Teilweise wurde in den Landesbeamtengesetzen bereits eine Umsetzung eingefügt, teilweise wird Familienpflegezeit bzw. Pflegezeit über Rundschreiben ermöglicht.

Zweites Bürokratieentlastungsgesetz (Drs. 437/16)

Dieses Gesetzgebungsverfahren soll dem Bürokratieabbau durch Anwendung elektronischer Verfahren dienen. Durch Ergänzung von § 105 SGB XI sind auch Erbringer pflegerischen Leistungen betroffen.
Im Beitrag „Vollelektronische Abrechnung von Pflegesachleistungen ab 01.01.2018“ wird dies näher erklärt.

Zweite Verordnung medizinprodukterechtlicher Vorschriften (Drs. 397/16)

Die Medizinprodukte-Betreiberverordnung soll neu gefasst werden.

  • Durch Konkretisierung des Anwendungsbereiches und einer Definition des Betreiberbegriffs sollen die Verantwortlichkeiten klarer umgrenzt und zugeordnet werden. Insbesondere wird wird definiert, was unter Gesundheitseinrichtung im Sinne dieser Verordnung zu verstehen ist. Erfasst werden sollen Einrichtungen, in denen Medizinprodukte professionell angewendet werden, wie z. B. Krankenhäuser, Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen, stationäre Pflegeeinrichtungen, Pflegeheime, Arztpraxen, Zahnarztpraxen sowie Praxen von psychologischen Psychotherapeuten, Physiotherapeuten. Dazu gehören auch selbstständige Einrichtungen und Praxen des Gesundheitswesens und selbstständig im Gesundheitswesen Tätige (z. B. Hebammen/Entbindungspfleger, Physiotherapie-, medizinische Massage-, Krankengymnastik- oder Heilpraktiker-Praxen, medizinische Fußpfleger, Podologen, Ergotherapeuten, Logopäden, Rettungsdiente, me- dizinische Labore), ebenso wie Apotheken, Tageseinrichtungen und Schulen mit integrativer Betreuung oder für behinderte Kinder.
  • Die Patientensicherheit soll durch klarere und einheitlichere Regelungen bezüglich eines Beauftragte für Medizinproduktesicherheit erhöht werden. Gesundheits- bzw. Pflegeeinrichtungen ab 20 Beschäftigten soll nun verpflichtend einen solchen Beauftragten benennen. Die Anforderungen an diese Beauftragten wird dazu ebenfalls in der Verodnung niedergelegt.

Interessant auch ein Ländervorschlag: Gesetz zur Verbesserung der Beistandsmöglichkeiten unter Ehegatten und Lebenspartnern in Angelegenheiten der Gesundheitssorge und in Fürsorgeangelegenheiten