Hochgelobt und dennoch nicht ganz durchdacht sind die Leistungen, die Pflegebedürftige mit Pflegegrad 1 ab dem 01.01.2017 in Anspruch nehmen können.
Hochgelobt, weil der Gesetzgeber mit Einführung des Pflegegrad 1 künftig auch Personen berücksichtigt, die nur eine geringe Beeinträchtigung der Selbstständigkeit bzw. ihrer Fähigkeiten haben. Sie können ab 01.01.2017 mit Teilhilfen und Unterstützungsleistungen erhalten, die den Verbleib in der häuslichen Umgebung sicherstellen sollen. Der Leistungskatalog dazu ist im ab dem Jahreswechsel geltenden § 28a SGB XI geregelt.
Ziel dieser Leistungen ist die möglichst lange Erhaltung bzw. Wiederherstellung der Selbstständigkeit und damit Vermeidung schwerer Pflegebedürftigkeit. Laut Bundesministerium für Gesundheit wird mit bis zu 500.000 zusätzlichen Leistungsberechtigten gerechnet.
Genau diesem Personenkreis droht aber ab 01.01.2017 eine Versorgungslücke, die die Erhaltung der Selbstständigkeit (wieder) zunichte machen kann. Denn: Dieser Personenkreis hat künftig weder Anspruch auf Kurzzeitpflege nach § 42 SGB XI noch auf Übergangspflege nach §§ 37 Abs. 1a, 38 oder 39c SGB V.
Drohende Versorgungslücke: Keine Kurzzeitpflege
Ist die Pflege zu Hause z. B. aufgrund einer schwerwiegenden Erkrankung vorübergehend nicht möglich, haben ab dem 01.01.2017 nur Pflegebedürftige ab dem Pflegegrad 2 Anspruch auf Leistungen der Kurzzeitpflege nach § 42 SGB XI.
Pflegebedürftigen mit dem Pflegegrad 1 bleibt diese Leistung jedoch verwehrt – zumindest wird sie für diesen Personenkreis nicht von den Pflegekassen „bezahlt“. Während Pflegebedürftige ab dem Pflegegrad 2 für die Kurzzeitplfege 1.612 € pro Kalenderjahr erhalten können und zusätzlich weitere 1.612 € aus Mitteln der Verhinderungspflege nutzen können (also insgesamt: 3.224 € im Kalenderjahr), gehen Pflegebedürftige mit dem Pflegegrad 1 leer aus.
Sie können lediglich den künftigen Entlastungsbetrag nach § 45b SGB XI in Höhe von 125 € pro Monat einsetzen. Für alle weiteren Kosten müssen sie selbst aufgekommen, wenn sie eine Kurzzeitpflegeeinrichtung in Anspruch nehmen wollen.
Drohende Versorgungslücke: Keine Übergangspflege
Auch die zum Jahreswechsel 2015/2016 eingeführten Übergangspflege, die die gesetzlichen Krankenkassen bezahlen müssen, greifen hier nicht.
Menschen ohne Pflegestufe bzw. ohne Anspruch auf Leistungen der sozialen Pflegeversicherung können seit 01.01.2016 die sogenannte Übergangspflege der gesetzlichen Krankenkasse erhalten. Je nach medizinischer Notwendigkeit kann das Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung im Rahmen der häuslichen Krankenpflege (§ 37 Abs. 1a SGB V), Haushaltshilfe (§ 38 SGB V) oder Kurzzeitpflege (§ 39c SGB V) sein.
Der Leistungsanspruch auf die Übergangspflege nach SGB V ist Patienten vorbehalten, die nicht pflegebedürftig im Sinne des SGB XI sind. So die derzeitige Rechtslage. Dies bedeutet aber nach derzeitigem Stand: Pflegebedürftige, mit künftigem Pflegegrad 1 gehen auch hier leer aus.
Rechtsanpassung bzw. Nachbesserung gefordert
Um dem Anspruch gerecht zu werden, dass der Pflegegrad 1 die Selbstständigkeit erhalten/wiederherstellen soll bzw. verhindern soll, dass schwerere Pflegebedürftigkeit eintritt, ist es dringend geboten, dass hier nachgebessert wird.
Die drohende Versorgungslücke wird auch in der Stellungnahme der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege zum Referentenentwurf des Dritten Pflegestärkungsgesetzes (PSG III) thematisiert. Die Bundesarbeitsgemeinschaft fordert, im Zuge des PSG III den Leistungsanspruch von Pflegebedürftigen mit Pflegegrad 1 um Leistungen der Verhinderungspflege nach § 39 SGB XI und Kurzzeitpflege nach § 42 SGB XI zu erweitern. Damit wären Pflegebedürftige mit Pflegegrad 1 hier nicht mehr schlechter gestellt als alle anderen Pflegebedürftigen.
Ob der Gesetzgeber auf diese Forderung eingeht, bleibt abzuwarten. Alternativ könnte er auch die sogenannte Übergangspflege nach SGB V für Pflegebedürftige mit Pflegegrad 1 öffnen.
Carmen P. Baake ist Diplomökonomin und berät seit 2011 Pflegedienste und Sozialstationen zu betriebswirtschaftlichen und strategischen Themen. Zuvor war sie viele Jahre bei gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen beschäftigt. Daneben arbeitet sie als freiberufliche Dozentin und Fachautorin. Über den WALHALLA Fachverlag bietet sie derzeit Seminare zum Thema „Pflegestärkungsgesetz II“ und „Neues Begutachtungsassessment“ an.