Ende April wurde der Referentenentwurf des „Dritten Gesetzes zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Gesetze (Drittes Pflegestärkungsgesetz – PSG III)“ in die Ressortabstimmung gegeben bzw. an die Verbände mit der Bitte um Stellungnahme bis 20. Mai 2016 verschickt.
Das Gesetz soll am 1. Januar 2017 – parallel mit den umfassenden Neuerungen des PSG II – in Kraft treten.
Dem Facebook-Auftritt von Mechthild Rawert (Bundestagsabgeordnete, Mitglied des Ausschusses für Gesundheit) ist folgender Zeitplan zu entnehmen:
20. Mai 2016 | Frist für die Stellungnahme der Verbände |
30. Mai 2016 | Fachanhörung des Ministeriums |
Juni 2016 | Kabinettsbeschluss, Einbringung des Gesetzentwurfs |
23. September 2016 | Zuleitung des Entwurfs an den Bundesrat bzw. erste Behandlung in der 948. Sitzung des Bundesrates |
1. Januar 2017 | Inkrafttreten des Gesetzes |
Wesentliche Themenbereiche des PSG III sind:
- Stärkung der Rolle der Kommunen in der Pflege durch bessere Steuerungsmöglichkeiten, Kooperations- und Koordinationsstrukturen sowie einer besseren Verzahnung der kommunalen Beratung und Beteiligung am Auf- und Ausbau niederschwelliger Angebote
- Anpassung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs in den sozialhilferechtlichen Vorschriften (Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch, SGB XII) sowie im sozialen Entschädigungsrecht (Bundesversorgungsgesetz, BVG) und damit Herstellung einer weitgehenden Begriffsidentität zum neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff und zum neuen Begutachtungsinstrument (NBA, Neues Begutachtungsassessment)
- Erweiterung bzw. Neufassung des Leistungskatalogs der Hilfe zur Pflege
- Auflösung von Schnittstellenproblematiken in den sozialen Leistungssystemen, insbesondere Abgrenzung der Leistungen der Pflegeversicherung zur Hilfe zur Pflege sowie bei Teilhabe-Elementen zur Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen
Im Folgenden haben wir die wichtigsten Neuerungen zusammengefasst.
Bitte beachten Sie: Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens können sich noch Änderungen ergeben.
Zuweisung einer aktiveren Rolle an die Kommunen
Bund, Länder, Kommunen, Pflegekassen und weitere Leistungs- bzw. Kostenträger sollen es Pflegebedürftigen ermöglichen, so lange wie möglich in ihrer vertrauten Umgebung zu leben.
Um die pflegerische Versorgung vor Ort sicherstellen zu können, hat eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe im Vorfeld bereits Empfehlungen zur Stärkung der Rolle der Kommunen in der Pflege abgegeben, die im Gesetzentwurf berücksichtigt wurden:
Die Bundesländer sollen künftig die Möglichkeit erhalten, regionale Pflegekonferenzen und sektorenübergreifende Landespflegeausschüsse einrichten zu können. Diese Ausschüsse können Empfehlungen zur Entwicklung der pflegerischen Infrastruktur im Land und in den Kommunen abgeben (sog. Pflegestrukturplanungsempfehlungen). Die Pflegekassen sind dann verpflichtet, an den Beratungen mitzuwirken, sie müssen zur Pflegestrukturplanung die erforderlichen Daten zur Verfügung stellen. Die aus diesen Ausschüssen resultierenden Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Versorgung werden dann bei den Verhandlungen zum Abschluss von Versorgungs-, Rahmen- und Vergütungsverträgen einbezogen.
Kreise und kreisfreie Städte sollen ein Initiativrecht zur Einrichtung von Pflegestützpunkten erhalten. Kranken- und Pflegekassen müssen dem Abschluss von Vereinbarungen zustimmen. Zudem werden verpflichtende Rahmenverträge mit einer Schiedsstelle eingeführt.
Das Aufgabenspektrum der Pflegestützpunkte wird erweitert um
- die Erbringung der individuellen Pflegeberatung nach § 7a SGB XI
- den Aufbau von „Einrichtungen in der Kommune“, etwa Seniorenbüros, Mehrgenerationenhäuser, Freiwilligenagenturen, lokale Allianzen; diesen ist dann eine Beteiligung am Pflegestützpunkt zu ermöglichen
Kommunen sollen künftig auch Beratungseinsätze nach § 37 Abs. 3 SGB XI erbringen können (regelmäßige Beratung in der eigenen Häuslichkeit bei Pflegegeldbezug).
Kommunen sollen besser am Auf- und Ausbau niederschwelliger Angebote beteiligt werden. Dazu sollen sie die Möglichkeit erhalten, ihren Finanzierungsbeitrag zur Förderung des Auf- und Ausbaus niedrigschwelliger Betreuungs- und Entlastungsangebote nicht nur durch liquide Geldmittel, sondern auch durch sonstige Leistungen (Personal- und Sachmittel) erbringen zu können.
Die Bundesländer können bis zu 60 „Modellvorhaben Pflege“ einrichten, in dem kommunale Stellen die Beratung nach den §§ 7a bis 7c, 37 Abs. 3 und § 45 SGB XI von den Pflegekassen und sonstigen Beratungsstellen übernehmen. In diesen Modellvorhaben sollen die Kommunen eine „Beratung aus einer Hand“ testen – also die Beratung zu pflege(versicherungs)rechtlichen plus sozial(hilfe)rechtlichen Themen wie Hilfe zur Pflege, Eingliederungshilfe und Altenhilfe. Damit sollen die kommunalen Beratungsangebote besser verzahnt bzw. wohnortnahe Beratungsstrukturen aufgebaut werden. Die Verteilung der Modellvorhaben unter den Bundesländern soll nach dem Königsteiner Schlüssel erfolgen und zunächst für fünf Jahre – bis Ende 2021 – erprobt werden. Die Kosten sollen geteilt werden. Kommunen können dabei eigenes Personal sowie Sachmittel für Aufbau und Betrieb einsetzen und anrechnen lassen.
Neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff auch in der Sozialhilfe
und im sozialen Entschädigungsrecht
Zur Wahrung der Identität der Pflegebedürftigkeitsbegriffe von SGB XI, SGB XII und dem Bundesversorgungsgesetz wird entsprechend dem SGB XI der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff auch für die Hilfe zur Pflege (SGB XII) eingeführt. Dieser Pflegebedürftigkeitsbegriff im künftigen § 61a Abs. 1 SGB XII ist – mit Ausnahme der zeitlichen Untergrenze von sechs Monaten – inhaltsgleich mit der entsprechenden Vorschrift für die gesetzliche Pflegeversicherung in § 14 Abs. 1 SGB XI. Im Unterschied zum Pflegebedürftigkeitsbegriff nach dem SGB XI, demzufolge Pflegebedürftigkeit auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, vorliegen muss, setzt die Pflegebedürftigkeit im SGB XII wie gehabt keine zeitliche Untergrenze voraus.
Wie im SGB XI werden die bisherigen drei Pflegestufen durch fünf Pflegegrade ersetzt. Es gelten hier die Regeln wie in der sozialen Pflegeversicherung.
Die Ermittlung des Grades der Pflegebedürftigkeit wird künftig im § 62 SGB XII festgelegt. Dies ist neu, da bislang im SGB XII keine Regelung zu finden war, nach welchem Verfahren die Pflegebedürftigkeit zu beurteilen ist. Festgelegt wird, dass das neue Begutachtungsinstrument nach § 15 SGB XI (Neues Begutachtungsassessment, NBA) angewandt werden muss. Dies gilt auch dann, wenn keine Leistungen aus der sozialen Pflegeversicherung gezahlt werden, sondern „nur“ Leistungen der Sozialhilfe (z. B. wegen Unterschreitung der zeitlichen Untergrenze von sechs Monaten).
Neu ist auch, dass Entscheidungen der Pflegekasse über den Pflegegrad für den Sozialhilfeträger bindend sind (siehe dazu den neuen § 62a SGB XII). Eine unterschiedliche Beurteilung desselben Sachverhaltes durch Pflegekasse und Sozialhilfeträger ist damit künftig ausgeschlossen; eine Doppelbegutachtung findet daher nicht mehr statt.
Neue Leistungsgrundsätze
Im Rahmen der Hilfe zur Pflege muss der Sozialhilfeträger Leistungen für Pflegebedürftige zur Deckung des notwendigen pflegerischen Bedarfs erbringen (sog. Bedarfsdeckungsprinzip).
An diesem Grundsatz wird festgehalten. Bisher wird dieser Bedarf für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen aus dem Zeitaufwand für Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung abgeleitet. Dieser Zeitaufwand wird bisher im Verfahren zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit festgestellt und ist bisher Grundlage der Einstufung.
Mit Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs und damit einhergehend dem neuen Begutachtungsinstrument wird der Grad der Selbstständigkeit zum Maßstab für die Einstufung in Pflegegrade – mit der Konsequenz, dass aus dem Ergebnis der Feststellung der Pflegebedürftigkeit bzw. der Einstufung ab 2017 zeitlich gesehen keine Rückschlüsse mehr auf den Bedarf möglich sind.
Um hier nicht doch wieder eine Doppelbegutachtung bzw. gutachterliche Bedarfsfeststellung auszulösen, wird im neuen § 63a SGB XII für den Bereich der häuslichen Pflege eine Pauschalierung eingeführt:
- Bei ambulanten Leistungen erfolgt unter Berücksichtigung der Höhe der Pflegesachleistungen nach § 36 Abs. 3 SGB XI erfolgt ein pauschaler Zuschlag in Höhe von 10 % zu den dort genannten Beiträgen. Bis zu diesem Schwellenwert soll künftig ohne besondere Anhaltspunkte eine Prüfung des Bedarfs an pflegerischen Leistungen im Einzelfall nicht erforderlich sein. Besteht im Einzelfall ein abweichender höherer pflegerischer Bedarf, muss der Sozialhilfeträger weiterhin eine zusätzliche Bedarfsfeststellung – ggf. mit Hilfe einer Zweitbegutachtung – durchführen.
- Für stationäre Leistungen wird an die Regelung des § 84 Abs. 4 SGB XI angeknüpft, wonach mit den Pflegesätzen alle für die Versorgung des Pflegebedürftigen erforderlichen Pflegeleistungen abgegolten sind. Dazu kommt dann noch der Vergütungszuschlag für Leistungen der zusätzlichen Betreuung und Aktivierung (§ 84 Abs. 8 SGB XI).
Leistungsausweitungen
Neuer Leistungskatalog bei der Hilfe zur Pflege
Mit Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs gehören nicht mehr nur körperbezogene Pflegemaßnahmen, sondern auch pflegerische Betreuungsmaßnahmen und Hilfen bei der Haushaltsführung zu den Leistungen der Häuslichen Pflegehilfe (siehe den neuen § 64b SGB XII). Zur Klärung der Schnittstelle zu den Leistungen der Eingliederungshilfe wird der Begriff der pflegerischen Betreuungsmaßnahme zudem in § 64b Abs. 2 SGB XII näher definiert.
Neu in den Leistungskatalog der Hilfe zur Pflege wird auch die Verhinderungspflege (§ 64c SGB XII) aufgenommen. Gegenüber dem geltenden Recht ist dies wohl eher eine Klarstellung, kann doch die Verhinderungspflege bereits jetzt als sogenannte „andere Leistung“ nach dem derzeit geltenden § 65 Abs. 1 SGB XII geleistet werden.
Ebenfalls explizit aufgenommen werden nun auch Regelungen zur Versorgung Pflegebedürftiger mit Pflegehilfsmitteln im Rahmen der Hilfe zur Pflege, künftig in § 64d SGB XII geregelt. Wie im gesamten Sozialhilferecht ist auch hier das Nachrangprinzip zu beachten. Die Träger der Sozialhilfe sind nur in den Fällen zuständig, in denen Hilfsmittel nicht bereits von den Krankenkassen als Leistung bei Krankheit oder von anderen Leistungsträgern zu gewähren und zu bezahlen sind. Soweit eine Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers gegeben ist, muss dieser die Notwendigkeit der Versorgung prüfen. Inhaltlich entspricht der Anspruch auf Pflegehilfsmittel dem in § 40 SGB XI niedergelegten Grundsätzen.
Auch neu ist die Aufnahme von Maßnahmen zur Verbesserung des Wohnumfeldes in den Leistungskatalog des Siebten Kapitels. Im künftigen § 64e SGB XII wird festgelegt, dass Sozialhilfeträger Maßnahmen zur Verbesserung des Wohnumfeldes (technische Hilfen, Umbauten, Modernisierungsmaßnahmen etc.) – neben der Gewährung von Pflegehilfsmitteln – ganz oder teilweise finanzieren können (Ermessensleistung!).
In § 64f SGB XII sind künftig die bisher in § 65 SGB XII niedergelegten „anderen Leistungen“ geregelt (Aufwendungen für die Beiträge einer Pflegeperson, Beratungsleistungen, Kosten im Rahmen des Arbeitgebermodells).
Explizite Regelungen finden sich in § 64g SGB XII nun für teilstationäre Pflege. Auch dies dient zur Klarstellung, da auch diese Hilfe bisher schon im Leistungskatalog des Siebten Kapitels gehörte. Dies gilt auch für die Kurzzeitpflege, die künftig in § 64h SGB XII angesprochen ist.
Neu ist die Gewährung eines Entlastungsbetrages in Höhe von bis zu 125 Euro monatlich für Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5. Der Entlastungsbetrag ist künftig in § 64i SGB XII niedergelegt. Mit der Ausgestaltung als zusätzliche Leistung soll Pflegepersonen die Möglichkeit eröffnet werden, neben der Verhinderungspflege, Kurzzeitpflege und teilstationärer Pflege auch niederschwellige Angebote in Anspruch zu nehmen.
Neu ist der Entlastungsbetrag bei Pflegebedürftigen mit Pflegegrad 1 (§ 66 SGB XII), der diesen Personenkreis befähigen soll, möglichst lange in ihrer häuslichen Umgebung verbleiben zu können. Der Entlastungsbetrag muss dementsprechend zweckgebunden eingesetzt werden.
Erweiterter Kreis von Leistungsberechtigten
Die Hilfe zur Pflege soll in ihrer Funktion weiterhin als ergänzende Leistung erhalten bleiben. Die künftigen Leistungsinhalte korrespondieren aber mit dem erweiterten Verständnis von Pflegebedürftigkeit. Dies führt dazu, dass der Kreis der Anspruchsberechtigten (siehe dazu den künftigen § 61 SGB XII) sowie die Leistungen aufgrund der Neudefinition des Pflegebedürftigkeitsbegriffes (siehe dazu den künftigen § 61a SGB XII) bezüglich von Betreuungsleistungen ausgeweitet werden:
- Personen, die künftig mit einem Pflegegrad 1 eingestuft werden, haben jedenfalls Anspruch auf Pflegehilfsmittel, auf Maßnahmen zur Verbesserung des Wohnumfeldes und auf einen Entlastungsbetrag in Höhe von 125 Euro. Weitere Leistungen werden ausgeschlossen.
- Zusätzliche Betreuungsleistungen – also Leistungen nach den §§ 45b, 87b und § 124 SGB XI für Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz –, die bisher geltenden Pflegebedürftigkeitsbegriff erfasst waren, werden zum 1. Januar 2017 Bestandteil des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs. Das bedeutet, sie werden künftig als neue Leistung im Rahmen der Hilfe zur Pflege auch durch die Träger der Sozialhilfe sowie der Träger der Kriegsopferfürsorge erbracht. Nach bisher geltendem Recht sind bei der ambulanten Versorgung im Rahmen der Hilfe zur Pflege keine pflegerischen Betreuungsmaßnahmen zu erbringen. Bei stationärer Unterbringung in einer Einrichtung entstanden bisher diesbezüglich keine weiteren Kosten, da die Betreuung in der Vollversorgung nach § 89 SGB XI abgegolten war. Die neue Leistung „pflegerische Betreuungsmaßnahmen“ für Menschen mit eingeschränkter Alltagskompetenz kann aber ab 2017 dazu führen, dass Einrichtungen ihre Angebote weiterentwickeln, was vom Sozialhilfeträger im Rahmen der Hilfe zur Pflege dann übernommen werden muss.
Überleitung in Pflegegrade zum 1. Januar 2017
Der neue § 137 SGB XII bzw. 27k BVG regeln die Überleitung von Pflegebedürftigen, die bereits eingestuft waren. Aus der Regelung ergibt sich, dass es hier nun einen einfachen Stufensprung gibt. Ein doppelter Stufensprung ist im Rahmen der sozialhilferechtlichen Vorschriften nicht vorgesehen, da ja bisher im Rahmen der Hilfe zur Pflege bzw. in der Kriegsopferfürsorge keine zusätzlichen Leistungen bei einer erheblich eingeschränkten Alltagskompetenz nicht erbracht wurden.
Ohne erneute Begutachtung erfolgt hier die Überleitung in die Pflegegrade wie folgt:
- Pflegebedürftige mit Pflegestufe I in den Pflegegrad 2
- Pflegebedürftige mit Pflegestufe II in den Pflegegrad 3
- Pflegebedürftige mit Pflegestufe III in den Pflegegrad 4
Zusammengefasst von Barbara Bayer, Programmleitung Gesundheit und Soziales im Walhalla Fachverlag.