Es war alles so gut gemeint: Mit dem neuen Bundesteilhabegesetz (BTHG) sollte das Recht für behinderte Menschen und von Behinderung bedroht Menschen im Einklang mit der UN-Behindertenrechtskonvention weiterentwickelt werden. Inklusion und Teilhabe sollten keine „Worthülsen“ mehr sein, sondern umfassend in das deutsche Recht eingefügt und umgetzt werden. Mehr Selbstbestimmung und umfangreichere Teilhabe sollte sicher gestellt und staatliche Leistungen „wie aus einer Hand“ gewährt werden. Die Leistungen der Eingliederungshilfe sollten zudem aus dem bisherigen „Fürsorgesystem“ herausgeführt und zu einem modernen Teilhaberecht weiterentwickelt werden.
Im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens fand ein bis dato so noch nicht bekannter, umfassender Beteiligungsprozess statt. Menschen mit Behinderungen und ihre Verbände sowie die weiteren betroffenen Akteure – insbesondere Vertreter der Bundesländer und der Leistungsträger – tagten in der Arbeitsgruppe „Bundesteilhabegesetz“ zwischen dem 10. Juli 2014 und dem 14. April 2015 in neun Sitzungen um mögliche Reformthemen und -ziele zu diskutieren. Die Dokumentation der Ergebnisse der Arbeitsgruppen kann auf den Seiten des Bundesministeriums für Arbeit abgerufen werden.
Seit 26. April 2016 liegen nun als Ergebnis (?) dieser Sitzungen die Überlegungen und Ausarbeitungen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales in Form eines Referentenentwurfs vor … nur … von allen Seiten hagelt es seitdem Kritik: von den Behindertenverbänden, den Wohlfahrtsorganisationen, den Selbsthilfeorganisationen, den Kirchen, von der von Bundesregierung bestellten Behindertenbeauftragten Bentele und von vielen engagierten Menschen mit Behinderung, exemplarisch sei hier nur die Internetseite von Raul Krauthausen genannt.
Der Deutsche Behindertenrat, die Fachverbände für Menschen mit Behinderung, der Paritätische Gesamtverband, das Deutsche Rote Kreuz, die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen sowie der Deutsche Gewerkschaftsbund haben gemeinsame Kernforderungen erarbeitet (sozusagen Mindestanforderungen an ein gelungenes Reformgesetz) und in einem Forderungspapier zusammengestellt.
Eine Liste veröffentlichter Stellungnahmen finden Sie im Übersichtsbeitrag zum Bundesteilhabegesetz.
Auch von den Kommunen kommt Gegenwind: „Grundlegende Reformziele würden verfehlt, unabsehbare finanzielle Folgen ausgelöst und ohne Not eine der umfassendsten Systemveränderungen in diesem Bereich seit Jahrzehnten angestoßen“ – so die Quintessenz der Pressemitteilung des Landkreistages vom 13. Mai 2016.
Dr. Olaf Heinrich, Bezirkstagspräsident von Niederbayern hält den derzeitigen Entwurf aus Kostengründen für inakzeptabel und solange in der Gänze abzulehnen bis die zukünftige Finanzierung der Leistungen der Eingliederungshilfe verbindlich geklärt ist. Heinrich forderte dabei die Bundesregierung auf dem Bayerischen Bezirketag auf, die im Koalitionsvertrag zugesagte Entlastung der Kommunen von den Kosten der Eingliederungshilfe auch umzusetzen. Ohne eine gesetzliche Regelung der verbindlichen Mitfinanzierung der Eingliederungshilfe durch den Bund könne dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht zugestimmt werden.
Dieser Meinung schließt sich auch Dr. Bernd Jürgen Schneider, Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes NRW, an. Der Entwurf des Bundesteilhabegesetzes würde den Erwartungen nicht einmal im Ansatz gerecht. Denn ein grundlegendes Ziel der Reform, die Kostensteigerung bei den Leistungen für behinderte Menschen zu begrenzen, wird mit dem vorliegenden Entwurf konterkariert. Dabei hätten Länder und Kommunen die Reform gerade deshalb angestoßen, um die enorme Kostensteigerung in der Eingliederungshilfe zurückzuführen. „Hierzu enthält der Referentenentwurf keine substanziellen Aussagen“, monierte Schneider in der Pressemitteilung vom 23. Mai 2016.
Auch beim Deutschen Städte-und Gemeindebund sieht man den Referentenenwurf mit Skepsis; dazu Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg: „Es ist mehr als fraglich, ob mit dem Gesetzentwurf die bestehende Ausgabendynamik in der Eingliederungshilfe nachhaltig in den Griff zu bekommen ist. Wir werden auf eine seriöse Prüfung der finanziellen Auswirkungen drängen.“
Zwischenzeitlich ist die Stellungnahmefrist für den Referentenentwurf abgelaufen, heute (24.05.2016) findet die erste Verbände-/Fachanhörung statt.
Ob angesichts dieses Widerstands der von der Bundesregierung angepeilte Zeitplan eingehalten werden kann, darf bezweifelt werden. Vorgesehen war, das Gesetzgebungsverfahren Mitte Oktober abzuschließen.
Die ersten Änderungen durch das BTHG sollten dann bereits – als Übergangsregelung zur „echten“ Reform der Eingliederungshilfe (Teil 2 des neugefassten SGB IX) – zum 01.01.2017 in Kraft treten. Sie würden bei Beziehern von Eingliederungshilfe Verbesserungen bei der Anrechnung von eigenem Erwerbseinkommen und Erhöhung des Vermögensfreibetrags bedeuten.
Für die Neufassung des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) gibt der Referentenentwurf folgenden Fahrplan vor – auch hier ist zweifelhaft, ob dieser angesichts der Diskussionslage so eingehalten werden kann:
SGB IX, Teil 1: Neugestaltetes Rehabilitationsrecht für Menschen mit Behinderung und von Behinderung bedrohte Menschen |
Inkrafttreten: 1.1.2018 |
SGB IX, Teil 2: Überführung der Vorschriften zur Eingliederungshilfe vom SGB XII in das SGB IX und Neugestaltung der Vorschriften |
Inkrafttreten: 1.1.2020 |
SGB IX, Teil 3: Schwerbehindertenrecht |
Inkrafttreten: 1.1.2018 |